Wenn Dinge gesagt werden müssen: Kritik zwischen Wattebäuschen und Kettensäge

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Wie jeden Morgen öffnet Marion in Ihrem Büro als erstes den Computer. Bei einem Blick auf Ihre E-Mails sieht Sie eine neue Nachricht von Julia mit der Überschrift „Mit Bitte um Rückmeldung – wichtig“. Dies ist bereits die zweite Nachricht Ihrer Mitarbeiterin, doch Marion ignoriert die Mail und öffnet sie nicht. Sie ist immer noch verärgert über Julia, die eine wichtige Präsentation letzten Mittwoch nicht rechtzeitig zum vereinbarten Termin vorbereitet hatte. Anstatt Ihre Verärgerung klar zum Ausdruck zu bringen, hatte Marion nur leise kommentiert: „Das war jetzt irgendwie ungünstig. Sowas sollte nicht so oft vorkommen.“

WENIGER KRITIK = MEHT HARMONIE?

Es gibt viele Gründe, warum Führungskräfte sich damit schwertun, Kritik zu üben – auch dann, wenn diese durchaus begründet ist. Oft verbirgt sich dahinter ein Bedürfnis nach Harmonie, aber auch die Angst, auf Widerstand stoßen zu können. Das Beispiel von Marion zeigt, wie Sie Ihrer Angestellten Julia ausweicht, anstatt deren Fehlverhalten direkt anzusprechen. Sie ist unsicher, drückt sich nicht klar aus und straft die Kollegin am Ende mit Nichtachtung.

Leider geht die Formel WENIGER KRITIK = MEHR HARMONIE nicht auf. Wenn berechtigte Kritik gar nicht, zu sanft oder nur indirekt geäußert wird, kann dies weitreichende Folgen für das ganze Unternehmen haben.

Zum einen wird das fehlerhafte Verhalten mit all seinen Konsequenzen weiter fortgeführt, zum anderen lernen Mitarbeiter nicht, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.

DAS ANDERE EXTREM: DIE KETTENSÄGE

Bereits Benjamin Disraeli sagte: „Es ist einfacher, kritisch zu sein als korrekt.“ Auch das gegenteilige Phänomen ist in der Arbeitswelt häufig zu beobachten. Wenn Kritik geäußert wird, dann in einem Stil, der nicht konstruktiv ist. Eine unbedachte Wortwahl, ein scharfer Ton oder unerwartete Gefühlsausbrüche des Chefs sind das andere Extrem, das es zu vermeiden gilt.

Hinter zu harscher Kritik kann die Annahme liegen, dass die Kritik sonst nicht verstanden wird. Möglicherweise hat sich auch über einen längeren Zeitraum Frust angestaut, der in Form von harschen Worten seinen Ausdruck findet.

Für die betroffenen Mitarbeiter wird ein Chef, der überraschend und mit harten Worten Kritik wie mit der Kettensäge austeilt, zum Stressfaktor. Die Folge von solch plötzlicher, harter Kritik sind im schlimmsten Fall eine schwere Kränkung, Angst, Verunsicherung oder Frustration – oft der erste Schritt zur Kündigung – innerlich oder real.

DIE BALANCE HALTEN

Die Fähigkeit richtig Kritik zu üben gehört also zu den wichtigen Qualitäten einer Führungskraft. Wer keine oder zu weich Kritik übt (sinnbildlich als mit Wattebäuschen wirft), vernachlässigt seine Führungsrolle und erweist seinem Unternehmen damit einen Bärendienst.

Wer wiederum zu viel und zu harsch kritisiert (Kettensäge), riskiert die Beziehungen mit seinen Mitarbeitern unnötig zu belasten und sensiblere Angestellte sogar ganz zu verlieren.

Entscheidend ist es daher, die richtige Balance zwischen Aufgabenorientierung und Beziehungsorientierung zu finden.

Einerseits ist es wichtig, dass der Fokus auf den Aufgaben liegt und die Arbeit in möglichst guter Qualität erledigt wird. Andererseits kann dies nur dann gut gelingen, wenn die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern und das allgemeine Klima stimmen. Kritik sollte daher so geübt werden, dass Beziehungen nicht dauerhaft gestört werden, die Erledigung wichtiger Aufgaben und Arbeitsabläufe aber stets im Auge behalten wird.

KLUGE VORARBEITEN

Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es, möglichst sachlich und überlegt vorzugehen, sobald Sie Fehlverhalten oder Probleme beobachten.

Bevor Sie einen Mitarbeiter zur Rede stellen, sollten Sie folgendes tun:

► ANALYSIEREN

Was genau hat der Mitarbeiter gemacht? Liegt der Fehler im Verhalten, in der Kompetenz oder in der Leistung? Stellen Sie sicher, dass die Information aus erster Hand stammt – vertrauen Sie nicht allein Berichten von anderen.

 

►ÜBERLEGEN

Wie konnte es dazu kommen? Wo liegt meine Verantwortung als Führungskraft?

 

►ABSCHÄTZEN

Welche Folgen hat das Ganze? Für mich, für den Mitarbeiter, für die Abteilung, für das Unternehmen.

 

► REFLEXION

Stellen Sie sich dann folgende Fragen: Ist es wichtig genug, dass ich Kritik üben sollte oder muss? Was passiert, wenn ich die Kritik nicht anbringe? Bin ich vielleicht zu streng, weil ich mich sehr ärgere, oder lege meine persönlichen (sehr hohen) Wertmaßstäbe an?

 

Sobald Sie Klarheit über den Sachverhalt, die Ursachen und die möglichen Folgen haben und entschieden haben, dass die Kritik wichtig und richtig ist, kommt der nächste Punkt: die Kritik an sich.

 

ZUR SACHE KOMMEN

► LIEBER „ICH“ ALS „DU“

Formulieren Sie Ihre Aussage als Ich-Botschaft. Im Gegensatz zu Du-Botschaften, in der sich die Person häufig angegriffen fühlt, wirken Ich-Botschaften in der Regel deeskalierend und helfen dabei, sachlich zu bleiben und nicht in Schuldzuweisungen zu verfallen.

 

► DER SACHVERHALT

Beschreiben Sie, was genau passiert ist und was genau nicht in Ordnung war/ist. Liegt das Problem im Verhalten, ist die Leistung nicht zufriedenstellend oder fehlt die Kompetenz für bestimmte Aufgaben? Wichtig ist es, die Fakten sachlich zu schildern, damit der Mitarbeiter nicht gleich in eine Abwehrhaltung geht.

 

► DIE FOLGEN

Erläutern Sie, welche Folgen der Sachverhalt für Sie, die anderen und das gesamte Unternehmen hat. Schaffen Sie Bewusstsein für die Konsequenzen.

 

► GEFÜHLE ÄUSSERN

Teilen Sie dem Mitarbeiter auch mit, wie Sie sich fühlen. Sind Sie überrascht, verärgert oder enttäuscht? Auf diese Weise erhöhen Sie den Druck, ein bestimmtes Verhalten tatsächlich zu ändern.

 

► ERWARTUNGEN MITTEILEN

Fragen Sie den Mitarbeiter, wie er zukünftig sicherstellen kann, dass die Arbeit zufriedenstellend erledigt wird. Wichtig ist es, den Mitarbeiter einzubinden. Loben Sie die Ideen des Mitarbeiters und ergänzen Sie, wo notwendig.

 

► HILFE ANBIETEN

Erkundigen Sie sich, welche Hilfestellung oder Ressourcen er braucht und wie Sie Ihn unterstützen können.

 

GESPÄCHSFÜHRUNG BEI KRITIK

►WORTWAHL

Achten Sie während des Gesprächs vor allem auf die richtige Wortwahl. Vermeiden Sie Reizwörter und Übertreibungen (immer, ständig, nie), weil das schnell Widerstand erzeugt. Alte Vorkommnisse, die erledigt sind, sollten nicht wieder aufgewärmt werden. Loben Sie eine positive Entwicklung oder gute Leistungen des Mitarbeiters, um diesen zu motivieren.

 

► KEIN MONOLOG

Vergessen Sie auch nicht, dass auch der Mitarbeiter bei einem Gespräch zu Wort kommen muss. So können Sie vermeiden, dass es zu Fehleinschätzung kommt, weil Informationen fehlen.  (Vielleicht war der Auftrag nicht klar genug, er war nicht mit einem eindeutigen Termin versehen, andere Aufgaben waren genauso wichtig und deswegen wurde es nicht fertig, es fehlten Informationen).

 

KLARHEIT UND ENTWICKLUNG

► EIGENVERANTWORTUNG STÄRKEN

Richtig angewandte Kritik ist die Voraussetzung für Entwicklung bei den Mitarbeitern. Wenn die Mitarbeiter erkennen und wissen, welche Folgen falsch erledigte Aufgaben oder Fehlverhalten für ihre Projekte und das Unternehmen haben können, entsteht Eigenverantwortung. Gleichzeitig bietet richtig eingesetzte Kritik die Möglichkeit, aus seinen eigenen Fehlern zu lernen und sich weiter zu entwickeln.

 

► ZWISCHEN AUFGABENERFÜLLUNG UND BEZIEHUNGSEBENE

Für die Führungskraft stellen Kritikgespräche immer eine Herausforderung dar. Kritik zu vermeiden oder schwammig und zu vorsichtig zu äußern, ist kontraproduktiv. Aber es gilt, die Balance zwischen Aufgabenorientierung und Beziehungsorientierung zu halten und auch bei ärgerlichen Vorkommnissen nicht überzureagieren. Kritik darf deutlich, klar und auch einmal scharf sein. Sie sollte aber niemals die Beziehung zerstören, wenn beide Parteien weiter zusammenarbeiten wollen oder müssen.

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