Ich hätte da gern mal ein Problem!
„Ich hätte da gern mal ein Problem!“ – Ein Comedian ist mit diesem Satz bekannt geworden. Aber der Satz war nicht nur eine geniale Einleitung zu den legendären Telefonanrufen von Bodo Bach, sondern ist gerade für Führungskräfte eine Aufforderung, sich um eine genaue Problemanalyse zu kümmern. Oft ist nämlich überhaupt nicht klar, was das Problem eigentlich ist.
Ein klar umrissenes Problem ist die Grundlage für gute Entscheidungen als Führungskraft. Nehmen wir ein einfaches Beispiel.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Vertriebsleiter und eines Ihrer Produkte, das in den letzten zehn Jahren extrem gut gelaufen ist, wird seit einigen Monaten viel weniger verkauft. Zudem wirkt Ihre Vertriebsmannschaft lustlos. Ganz klar, könnte man denken, die Jungs und Mädels müssen mal wieder richtig reinhauen und deshalb organisieren Sie ein Event, damit allen die Wichtigkeit deutlich gemacht wird, das Produkt auch zukünftig an den Mann und die Frau zu bringen. Aber irgendwie fruchtet die Strategie nicht. Nach einem kurzen Anziehen der Verkäufe, stürzt die Verkaufskurve wieder ab. Was ist nur los mit Ihren Leuten?!
So geht es natürlich nicht. Es ist nämlich überhaupt nicht klar, ob mangelnde Motivation des Verkaufsteams die Ursache für den Einbruch der Umsatzzahlen ist. Andere Faktoren wie die allgemeine Marktlage, Konflikte im Team oder mögliche Konkurrenzprodukte, die schlicht besser oder sehr viel günstiger sind, bleiben außen vor. Gleichzeitig wird durch das teure Event eher Schaden angerichtet, da es offensichtlich am Problem vorbei geht.
Jetzt sagen Sie vielleicht, dass dieses Beispiel ja banal ist. Da haben Sie vollkommen recht. In meiner Beratungspraxis stoße ich aber immer wieder auf ähnliche Vorgehensweisen. Da werden beispielsweise Techniker gezwungen, Vertriebsaufgaben zu übernehmen oder angeblich demotivierte Mitarbeiter durch Aufmunterung oder – schlimmer noch – durch Drohungen zu mehr Leistung angehalten.
In der Orientierungszeit-Episode 22 „Fallen, die verhindern, dass wir Menschen strategisch klug und nachhaltig handeln“ habe ich bereits festgestellt, dass unser Gehirn solche einfachen Lösungen liebt. Im Nachhinein betrachtet ist allen Beteiligten klar, dass hier zu kurz gedacht wurde. Aber in der Situation selbst geben wir uns allzu schnell mit einer offensichtlichen, wenn auch falschen Erklärung der Ursachen zufrieden.
So wird aus einem Mangel an Analyse schnell ein strategischer Führungsfehler, der unangenehme Folgen haben kann. In dem Beispiel mit der Vertriebsmannschaft könnten gute Leute kündigen, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen und an der Kompetenz der Vertriebsleitung zweifeln.
Es geht darum, aus dem einfachen Ursache-Wirkung-Denken herauszukommen. Der erste Schritt zu einer strategisch klugen Lösung ist immer, überhaupt erst einmal ein klar umrissenes Problem zu haben.
7 Schritte, um ein Problem einzukreisen
Mit den folgenden 7 Schritten kreisen Sie das Problem ein und machen es dingfest.
Sie haben für die folgenden Fragen zwei mögliche Vorgehensweisen. Erstens: Sie gehen die Fragen im Schnelldurchlauf wie eine Checkliste durch und verschaffen sich so selbst einen schnellen Überblick. Sie brauchen dazu nur wenig Zeit, haben aber wahrscheinlich nicht so exakte und tiefgehende Antworten. Zweite Vorgehensweise: Sie steigen am besten zusammen mit Ihren Mitarbeitern tiefer und gründlicher ein.
Schritt 1: Blick auf die Gegenwart: Symptome und Betroffene
Schauen Sie sich zunächst die Symptome an: Wie tritt das Problem in Erscheinung? Beschreiben Sie die Symptome ohne Wertung. Stellen Sie einfach nur fest, was ist. Wenn Sie hier schon interpretieren, dann geraten Sie schnell auf einen falschen Pfad. Gesunkene Verkaufszahlen sind ein Symptom, aber nicht das dahinterliegende Problem.
Jetzt klären Sie, wer ist alles von dem Problem betroffen ist. Gibt es auch Nutznießer? Wer leidet, wer profitiert? Wie hoch ist der Leidensdruck bei den Betroffenen. Dazu können Sie eine Skala von 1-10 nehmen, wobei 1 wenig und 10 extrem bedeutet.
Das hilft, die Dramatik der Situation einzuschätzen und den Kreis der Betroffenen abzugrenzen.
Schreiben Sie jetzt auf, welches Problem Sie vermuten. Danach verschaffen Sie sich mit folgenden Schritten weitere Orientierung.
Schritt 2: Blick in die Vergangenheit: Was war der Auslöser des Problems?
Hier geht es darum herauszufinden, wie es zu der aktuellen Problemsituation gekommen ist. Gibt es ein spezielles Ereignis, dass nun dazu führt, dass eine Lösung benötigt wird? Gibt es seit kurzem eine neue Gesetzeslage? Haben Sie wichtige Mitarbeiter verloren? Gab es einen Streit zwischen Mitarbeitern? Gab es eine Anweisung der Geschäftsführung, die zu vielen Diskussionen geführt hat? Hat sich der Markt durch ein Ereignis verändert?
Wenn Sie die Vergangenheit untersuchen, dann weiten Sie den Blick. Mögliche Ursachen kommen ins Blickfeld. Mancher „Aha!“- oder „Ach ja“-Effekt ist die Folge.
Schritt 3: Blick in die Zukunft: Folgen, Risiken und Gefahren, Chancen
Warum sind diese Symptome bzw. das Problem behandlungsbedürftig? Was sind die Folgen, wenn Sie nichts unternehmen? Welche Entwicklungen sind zu beobachten? Welche Gefahr oder welches Risiko besteht? Schauen Sie aber auch auf mögliche Chancen. Was wollten Sie schon immer einmal angehen? Wozu besteht jetzt die Gelegenheit?
Mit diesen Fragen kommen beide Seiten der Zukunft ins Blickfeld: Risiken bzw. Gefahren und die Chancen der Situation.
Schritt 4: Präzisierung des Problems
Damit haben Sie das Problem vollständig auf der Zeitachse untersucht und die Betroffenen identifiziert. Auf Basis Ihrer Antworten aktualisieren oder präzisieren Sie jetzt Ihre Problembeschreibung. Danach beschäftigen Sie sich mit den Fragen in den folgenden Schritten.
Schritt 5: Blick an die Ränder: Abgrenzung und Verbindungen
Grenzen Sie das Problem jetzt ab: Was gehört alles zum Problem und was nicht? Um was müssen Sie sich kümmern und was sind Dinge, die warten können? Eine Problemsituation hat meist viele Einzelaspekte. Finden Sie heraus, was wirklich wichtig und behandlungsbedürftig ist.
Schauen Sie jetzt über den Tellerrand: Was passiert alles im Umfeld? Wie lässt sich das Umfeld des Problems beschreiben? Welche Rahmenbedingungen sind wichtig? Schauen Sie auf die anderen Unternehmensteile, aber auch auf Mitbewerber, Kunden, Partner. Wie ist die allgemeine Lage? Wie beeinflusst das die Situation? Sind Entwicklungen zu erkennen, die das Problem beeinflussen? Was im Umfeld kann bei der Problemlösung helfen und was erschwert die Problemlösung?
Schritt 6: Blick unter die Oberfläche: Welche möglichen Probleme verbergen sich unter dem Problem?
Gibt es eine tiefere Ursache, die sich unter dem Problem verbirgt? Wenn ja, was müssen Sie als erstes behandelt? Das eigentliche Problem oder die Ursache darunter? Wenn die Verkaufszahlen sinken, weil das Produkt einfach nicht mehr den Marktanforderungen entspricht, dann sollte zunächst dieses Problem gelöst werden. Die Frage, warum Sie es so lange versäumt haben, sich mit einer Weiterentwicklung Ihres Produktes zu beschäftigen, können Sie zu einem späteren Zeitpunkt lösen.
Schritt 7: Abschließende Problemdefinition
Gratulation: Jetzt haben Sie verschiedene Blickwinkel eingenommen und das Problem eingekreist. Hat sich Ihre Wahrnehmung des Problems verändert? Wie lautet nun Ihre Antwort auf die Frage: Was ist das Problem?
Fazit
„Ein Problem ist halb gelöst, wenn es klar formuliert ist.“
John Dewey (1859 – 1952), Philosoph und Pädagoge
Keiner hat gerne Probleme, auch Comedian Bodo Bach mit seiner berühmten Einleitung nicht. Aber wenn Probleme schon auftauchen, sollten sie zumindest klar umrissen sein. Lösungsansätze, die nicht zum Problem passen, schaden mehr, als dass sie nutzen!
Alle Folgen von Orientierungszeit finden Sie hier: