Prioritäten: Was WIRKLICH wichtig ist
Sie kennen das sicher: kaum sind Sie im Büro, stürmen die Aufgaben auf Sie zu. Eine Mitarbeiterin hat eine Frage, das Telefon klingelt und ein Kunde hat ein Anliegen. Dann stellen Sie fest, dass Ihnen von einem Kollegen ein Termin für diesen Tag eingestellt wurde und Sie haben noch einen Bericht oder ein Angebot zu schreiben. Auf Ihrer To-do-Liste stehen noch weitere zehn Dinge, die zu erledigen sind. In dieser Folge von Orientierungszeit möchte ich mit Ihnen die Frage klären, wie Sie die Prioritäten für Ihre Arbeiten festlegen.
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Dringend und wichtig – Reicht das als Kriterien?
Häufig ist in der Führungsliteratur zu lesen und auch viele Coaches propagieren es so, dass Sie bei Aufgaben zwischen dringend und wichtig unterscheiden. Bei den dringenden Aufgaben sollen Sie dann ganz kritisch prüfen, ob Sie diese jetzt wirklich ausführen müssen. Schließlich sollen die Aufgaben nicht nur wichtig daherkommen, sondern auch wirklich wichtig SEIN.
In der Tat, die Unterscheidung zwischen dringend und wichtig die Basis richtiger Prioritäten. Aber wonach entscheiden Sie eigentlich, was wirklich wichtig ist? Hier gehen die Meinungen auseinander. Viele meiner Kollegen vertreten die Meinung, dass das von Ihnen festgelegt wird und dass Ihre Werte dabei eine ganz wichtige Rolle spielen. Auch das stimmt, aber es ist nach meiner Meinung zu kurz gesprungen, wenn Sie das Ganze nur auf sich beziehen. Wenn Sie danach vorgehen, was Ihnen persönlich wichtig erscheint, können Mitarbeiter, Kollegen, Kunden oder höhere Vorgesetzte aus dem Blick geraten.
Kriterien, die Ihre Entscheidung leichter machen
Sie brauchen eine Hierarchie – eine Hierarchie von Entscheidungskriterien
Was sie brauchen ist eine Hierarchie von Kriterien, die bestimmt, was wirklich wichtig ist. Und diese Hierarchie ist ausgesprochen individuell. Ein einzelnes Kriterium, wie zum Beispiel ihre Konzentrationsfähigkeit oder ihr persönlicher Arbeitsablauf ist einfach zu wenig.
Spielen wir das an einem Beispiel einmal durch:
Sie kommen um 8:30 Uhr ins Büro und haben um 9:00 Uhr einen Gesprächstermin bei Ihrer Vorgesetzten zu einem wichtigen Projekt. Nun sind gerade mitten in den Vorbereitungen für die Besprechung, da kommt ein Mitarbeiter und möchte Sie kurz sprechen. Sie verweisen auf Ihren Termin, der in wenigen Minuten stattfinden wird und vertrösten den Mitarbeiter auf die Zeit nach der Besprechung in ca. 2 Stunden. Das Entscheidungskriterium, dass Sie angelegt haben, ist in diesem Beispiel Hierarchie. Was von oben kommt, hat Vorrang. Das kann richtig sein.
Was aber, wenn der Mitarbeiter Ihnen mitteilen wollte, dass die Produktion steht und die 50 Mitarbeiter der Produktion nicht arbeiten können. Würden Sie dann auch noch die Vorgesetzte vorziehen oder würden Sie sich dann doch lieber darum kümmern, dass die 50 Kollegen wieder arbeiten können. Schließlich bedeutet bei einem Produktionsausfall jede Stunde den Verlust von viel Geld. Wahrscheinlich hätten Sie in diesem Fall die Vorgesetzte gebeten, den Termin zu verschieben und sich zunächst einmal um die Produktion gekümmert.
Also haben Sie gleich zwei Herausforderungen:
- Sie brauchen Entscheidungskriterien und müssen diese gegeneinander abwägen.
- Sie sind darauf angewiesen, dass Sie als Führungskraft die wichtigen Informationen erhalten, damit Sie die Entscheidungen auch treffen können.
Diese beiden Punkte möchte ich mit Ihnen näher betrachten.
Mögliche wichtige Kriterien
Zum ersten Punkt werde ich Ihnen jetzt verschiedene Entscheidungskriterien nennen. Deren hier verwendete Reihenfolge muss nicht Ihre Reihenfolge sein.
Hierarchie. Je größer ein Unternehmen, umso wichtiger wird dieses Kriterium. Man geht davon aus, dass die Zeit höherer Führungskräfte wertvoller ist als die eigene. Daher richtet man das Handeln an den Wünschen und der Zeit der in der Hierarchie Höhergestellten aus.
Zweites Kriterium: Gewinn oder Profit. Sie ziehen die Arbeiten vor, die mehr Gewinn versprechen. Beispielsweise rufen Sie erst einmal den Kunden zurück, mit dem sie 30 % ihres Umsatzes machen. Die anderen Kunden, die auch auf einen Anruf warten, stellen Sie zunächst einmal hinten an.
Drittes Kriterium: Schadensbegrenzung bzw. das Vermeiden von Verlusten. Wie wir in dem Beispiel der Produktion gesehen haben, ist auch dieses Kriterium mit Geld verbunden. Nur geht es hier nicht darum zusätzlichen Gewinn oder Profit einzufahren, sondern einen möglichen Schaden zu begrenzen. Das kann wie in dem Beispiel der Produktion, was wir eben hatten, darum gehen, dass Mitarbeiter nicht arbeiten können. Dramatischer wird das Ganze, wenn durch einen Unfall Umweltschäden auftreten oder Kunden in ihrer Gesundheit gefährdet sind.
Viertes Kriterium: der Ruf oder das Renommee des Unternehmens oder Ihres Bereiches. Auch hier kann es um Gewinn oder Schadensbegrenzung gehen. Nur sind die Dinge hier häufig nicht so einfach zu erkennen. Wenn Sie beispielsweise für den Neubau der Firmenzentrale am Stadtrand zuständig sind, kann der Anruf oder der Besuch eines Journalisten beides bedeuten. Es kann die Chance sein, das Renommee der Firma zu steigern. Gleichzeitig können Sie nicht sicher sein, dass der Journalist nicht doch einem vermeintlichen Skandal auf der Spur ist, weil das neue Gebäude direkt an ein Landschaftsschutzgebiet angrenzt. Viele meiner Kunden berichten mir, dass sie bei allen Dingen, die öffentlichkeitswirksam sind, sehr genau hinschauen. Ist erst mal eine falsche Nachricht in der Welt, ist es sehr mühselig, den angerichteten Schaden durch die Fehlinformation wieder auszubügeln.
Ein Arbeitsblatt mit weiteren möglichen Kriterien können Sie sich hier herunterladen.
Was ist für Sie und die anderen Beteiligten wichtig?
Das sind nur einige Beispiele für wichtige Kriterien. Sicherlich fallen Ihnen aus ihrem Bereich weitere wichtige Kriterien ein, die Sie bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen. Zudem gibt es weniger wichtige Kriterien, wie der eigene Ruf, die eigene Karriere, der Spaßfaktor oder auch ihr momentanes körperliches Befinden.
Kriterien müssen klar und mit allen Betroffenen (Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten, Kunden) abgestimmt sein.
Am besten ist es, wenn Sie alle Kriterien, die Ihnen einfallen, aufschreiben und dann in eine Reihenfolge bringen. Damit haben Sie einen wichtigen Teil der Arbeit zur Festlegung Ihrer Prioritäten getan. Allerdings ist das nur ihre persönliche Sichtweise. Damit diese Kriterien auch allgemeingültig für den von Ihnen verantworteten Bereich sind, sollten Sie damit in die Diskussion mit ihren Mitarbeitern, aber auch ihren Vorgesetzten gehen. Bei einigen Kriterien kann es sogar sinnvoll oder notwendig sein, die Kunden in die Priorisierung der Kriterien einzubinden. Erst durch diese Diskussion über die verschiedenen Ebenen und betroffenen Gruppen entsteht eine allgemein akzeptierte Hierarchie von Entscheidungskriterien. Damit fällt es allen leichter, anstehende Arbeiten in ihrer Wichtigkeit einzuschätzen und die richtigen Prioritäten zu setzen.
Vorteile für Sie als Führungskraft
Für Sie als Führungskraft hat eine abgestimmte Kriterienhierarchie entscheidende Vorteile. Sie haben weniger Rechtfertigungsdiskussionen mit Ihrem Vorgesetzten, können Kunden gegenüber leichter Entscheidungen begründen und haben gleichzeitig die Sicherheit, dass Mitarbeiter in Ihrer Abwesenheit sich an den vereinbarten Kriterien ausrichten.
Damit fällt es Ihren Mitarbeitern auch viel leichter zu entscheiden, wann sie eine Sache eskalieren. Nämlich immer dann, wenn die Einschätzung schwerfällt, zum Beispiel, weil zwei Dinge gleichzeitig anstehen, die gleich wichtig sind. Oder weil etwas Unvorhergesehenes passiert, dass eine Entscheidung von oben notwendig macht. Wenn Sie zusammen mit den Kriterien für Ihre Mitarbeiter auch festlegen, wie und wann Sie zu informieren sind, dann haben Sie auch den zweiten Punkt sichergestellt, nämlich, dass Sie die notwendigen Informationen erhalten.
Mir war es als Führungskraft zudem wichtig, dass Mitarbeiter eine klare Eskalationsprozedur erhalten. Sollten Sie nämlich einmal nicht verfügbar sein, müssen Mitarbeiter wissen, bis wohin sie selbst entscheiden können und an wen Sie sich danach wenden: beispielsweise an ihren Leitungskollegen, der Sie in der Abwesenheit vertritt oder an nächsthöhere Vorgesetzte.
So funktioniert die Umsetzung
Nutzen Sie den Impuls aus diesem Beitrag der Orientierungszeit dazu, Ihre eigene Kriterienhierarchie festzulegen oder zu überprüfen. Gehen Sie dann mit dem Ergebnis in die Diskussion mit den Mitarbeitern, Vorgesetzten, Kollegen oder auch den Kunden.
Falls Sie es noch nicht gemacht haben, legen Sie eine Eskalationsprozedur für die wichtigsten Fälle fest. Dabei können Ihnen die Vorkommnisse aus den letzten Jahren als Anhaltspunkte dienen, für was Sie vorsorgen sollten.
Wenn Sie diese Tipps beherzigen, dann fällt es Ihnen zukünftig viel leichter, die richtigen Prioritäten zu setzen. Natürlich gibt es immer Dinge, die einfach aufgrund des Termins bearbeitet oder entschieden werden müssen. Dies sollte aber niemals das alleinige Kriterium sein. Manche unwichtige Sache kommt nämlich in der Praxis häufig ganz dringend daher. Einer meiner Coaching-Kunden hat mir einmal berichtet, dass er die Monatsstatistik testweise einmal nicht abgegeben hatte. Es hatte sich niemand beschwert. Inzwischen hat er die Statistik schon zwei Jahre lang nicht abgegeben. In einem Gespräch meinte er zu mir: „Wenn jetzt jemand kommt und mir weismachen will, dass diese Statistik furchtbar wichtig ist, hat er oder sie ganz schlechte Karten in der Hand! Da erwarte ich dann schon eine ausführliche und stichhaltige Begründung.“
Welche Aufgaben und Tätigkeiten können Sie guten Gewissens einstellen?
Dazu kann die Diskussion über Kriterien auch führen: dass Sie nämlich gemeinsam feststellen, welche Aufgaben vielleicht eingestellt werden sollten, weil sie nur Arbeit machen, aber keinen richtigen Nutzen haben. Und das ist dann doch ein schöner Nebeneffekt.