Culture Change in der öffentlichen Verwaltung mit Teamboards
Dass Kanban-Boards Besprechungen schneller ablaufen lassen, hat sich inzwischen herumgesprochen. Die Variante „Teamboard“ nimmt neben dem Aufgabenmanagement die Teamkommunikation insgesamt in den Blick und ermöglicht dadurch Impulse für eine neue Besprechungskultur. Wie das konkret in der Praxis aussieht, dazu berichtet Jan Hochthurn von seinen Erfahrungen.
Aufgabenboards ermöglichen mit ihrer einfachen Aufteilung in Spalten einen guten Überblick über anstehende, laufende und beendete Aufgaben. Das gemeinsame Stehen am Board hilft zusätzlich: keiner will stundenlang stehen, so dass sich die Kommunikation auf das Wesentliche konzentriert. Mit Kanban-Boards lassen sich jedoch nicht nur Aufgaben effektiv und effizient organisieren, auch die Teamkommunikation kann dadurch agiler werden.
„Früher war es wenig lebendig“
Jan Hochthurn ist Abteilungsleiter im Bezirksamt Hamburg-Wandsbek, Fachamt Jugend- und Familienhilfe und im Kontext Sozialraumorientierung, Projektmanagement und Organisationsentwicklung unterwegs. „Früher saßen wir alle an einem großen Tisch und haben an einer Dienstbesprechung teilgenommen. Die Chefin lädt ein, setzt die Themen, das Wichtige wird kommuniziert, alle zwei Wochen aufs Neue. Klassisches Besprechungswesen eben. Ein Austausch fand routiniert durch einen entsprechenden Tagesordnungspunkt statt.“ Dennoch, so die Einschätzung von Jan Hochthurn, „war uns eigentlich allen klar, dass diese Art der Kommunikation nicht sehr lebendig ist und oft auch Unsicherheit herrscht, welche Themen und Inhalte tatsächlich für die anderen Teammitglieder auch von Relevanz sind.“
„Wir haben uns selbst mehr Agilität verordnet“
Das Leitungsteam, in dem Jan Hochthurn mitarbeitet, hat sich kürzlich mehr Agilität verordnet, um der Teamkommunikation neuen Schwung zu verleihen und genauer herauszufinden, wo es noch Potential für Zusammenarbeit geben könnte. Dabei geht es natürlich in erster Linie auch darum, die Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Verwaltungspraxis zu managen und die gestiegenen Anforderungen an vernetztes und bereichsübergreifendes Arbeiten konstruktiv anzunehmen. „Als Leitungsteam eines Fachamtes mit ca. 250 MitarbeiterInnen wollen wir gemeinsam nach vorne schauen, Ideen und Pläne entwerfen und über den eigenen Arbeitsbereich hinaus Zusammenarbeit ermöglichen. Damit das gelingen kann, ist eine konstruktive Kommunikation und Abstimmung dringend erforderlich.“
Das Teamboard – vom Team selbst entwickelt
Kernpunkt der agilen Ausrichtung ist der Einsatz eines Teamboards, das vom Team selbst entwickelt wurde. Wie beim Aufgabenboard handelt es sich um ein großes Board, das zur Visualisierung benutzt wird. „Wir haben uns als erstes gefragt, was ist wichtig für uns und zu welchen Themen wollen wir uns regelmäßig austauschen.“ Dazu hat das Team dann in einer zweistündigen Sitzung wichtige Kategorien zusammengetragen, die zukünftig auf dem Teamboard visualisiert werden sollten. „Auch das war schon ein spannender Austausch, da wir uns einmal die Zeit dafür genommen haben, darüber zu sprechen, wie und vor allem worüber wir eigentlich miteinander reden wollen“.
Das Ergebnis: eine einfache Struktur
Herausgekommen ist eine einfache Struktur mit simplen Kommunikationsregeln.
- Themenspeicher: Besprechungsanfragen an das Team
- Infobox: Wissenswertes für das Team
- Team-Orga: Organisatorisches wie Anwesenheit, Urlaubsplanung, Vertretungsregelungen, Home Office etc.
- Erfolge / Lessons learned: Worin waren wir gut? Was haben wir gelernt, was können wir besser machen?
- Teamthemen: was die Zusammenarbeit angeht und wir mal ansprechen sollten.
- Themenbezogenes Zeitfenster: Hier werden die Themen aus dem Themenspeicher umgesteckt, und in einem Zeitfenster nach der gemeinsamen Besprechung mit dafür relevanten Personen aus dem Team behandelt.
- Sprints: Platz für Themen, die nicht am Tag der Besprechung bearbeitet werden können.
- Themenfriedhof
Pinnen, Punkten, Planen
Eine komplette Besprechung läuft seitdem wie folgt ab: Zunächst erhält die Fachamtsleitung ein Zeitfenster von 60 Minuten für die herkömmliche Linienkommunikation, danach wechselt das Team an das Board. Am Teamboard werden dann Kategorien „gepunktet“ und Besprechungsanfragen „angepinnt“. Die Kategorie mit den meisten Punkten wird als Erstes besprochen. Danach stellt jeder seine Anliegen und Themen kurz vor. Das soll insgesamt maximal 20 Minuten dauern. Die Themen, die in die Kategorie „Themenbezogenes Zeitfenster“ gewandert sind, werden nur von den jeweils involvierten Personen bearbeitet und zwar direkt im Anschluss an den Austausch am Board. Die anderen können sich wieder ihren dem Alltagsgeschäft widmen und haben eine enorme Zeitersparnis, da die Besprechung dann schon nach 90 Minuten für sie vorbei ist! „Das ist schon eine merkliche Veränderung“, erklärt Jan Hochthurn, „da die Besprechungen zahlreich sind und die Zeit immer knapp ist.“
Wenn’s fertig werden muss: Sprint
Themen und Aufgaben, die nicht am Tag der Besprechung erledigt werden können, werden „in einen Sprint geschickt“. Das bedeutet, dass sich die betreffenden Teammitglieder zu einem festgelegten Thema innerhalb eines Bearbeitungszeitraumes verabreden. Das Thema bleibt so lange am Board hängen, bis der Sprint abgeschlossen ist. „Sprints“ sind eine agile Variante, um Themen innerhalb eines bestimmten Zeitfensters zu bearbeiten und eine gute Methode, um Themen vor dem ewigen „Verschiebebahnhof“ zu retten.
Der Beginn einer neuen Kultur
Seit einigen Wochen experimentiert das Leitungsteam mit dem Teamboard und erlebt, so der Eindruck von Jan Hochthurn, „einen Musterbruch mit der bisherigen Kommunikationskultur. Wir haben einen ‚Chancenraum’ geöffnet, um die Kommunikation und damit die Zusammenarbeit neu zu justieren. Für den weiteren Prozess bin ich recht optimistisch, da sich das Team gemeinsam auf die Veränderung eingelassen und sich in einem partizipativen Geist auf den Weg gemacht hat. Wir werden sehen, wie sich das langfristig entwickelt. Der Start ist jedenfalls sehr vielversprechend, da in die Kommunikation mehr Bewegung und Flexibilität hineingekommen ist.“
Ein agiles Board mit eigenem Friedhof
Das Leitungsteam hat sich im Übrigen vorgenommen, das Teamboard selbst auch agil zu halten. Die Kategorien sollen regelmäßig überprüft oder neue Ideen integriert werden. Dass ein Gestaltungsprozess für ein Teamboard durchaus auch erheiternd sein kann, zeigt die Kategorie „Themenfriedhof“. Jan Hochthurn erläutert, „in den Themenfriedhof kommen Themen, die mittels ‚Verfallsdatum’ abgelaufen sind und aus dem Themenspeicher quasi nicht raus kommen. Zumindest haben wir hier eine humoristische Art gefunden, unsere Priorisierung von Themen zu reflektieren.“
Auch öffentliche Verwaltung kann agil
Das Beispiel zeigt, dass auch die öffentliche Verwaltung Techniken, die ursprünglich in anderen Bereichen entwickelt wurden, gut für die Weiterentwicklung der eigenen Arbeit nutzen kann. Jan Hochthurn hat dafür noch einen Tipp: „Keine Angst vor neuen Methoden und Techniken. Einfach anfangen und den Mut aufbringen, einmal den gewohnten Rahmen zu verlassen. Wichtig ist dabei, dass neue Vorgehensweisen nicht dogmatisch betrachtet und auf die Bedürfnisse der Verwaltung angepasst werden. Das haben wir zum Beispiel mit dem Zeitfenster für die Linienkommunikation angemessen berücksichtigt.“
Ich bin bei Lesen an verschiedenen Punkten hängen geblieben: Mir fällt unter anderem die Limitierung der parallelen Arbeit (Kernprinzip von Kanban). Unklar ist für mich Wo/Wann/Wie Review (Ergebnisprüfung) und Retrospektive (Prozessverbesserung) stattfinden. Interessant wäre für mich auch zu wissen, in welchem Rhythmus die Treffen stattfinden, wie „Themen-/Aufgaben“ priorisiert werden, um das Prinzip des „Kundenfokus“ und der „Anwenderorientierung“ sicherzustellen.
Stutzig werde ich, wenn ich 60 Minuten Lininen-Kommunikation lesen. Konsquent agil hört sich anders an. Warum werden die Themen nicht am Board visualisiert und entsprechend besprochen?
Für mich hört sich es so an, dass noch sehr viel Luft nach oben ist und die agile Denkweise noch nicht konstistent verinnerlich wurde. Aber immerhin schon mal ein Anfang. Viel Erfolg.
Danke für den Kommentar und die geschilderte Einschätzung zu dem Text. Es ist ja immer gut den Kontext zu kennen, daher hier eins zwei Ergänzungen zur besseren Einordnung des Praxisversuches „Teamboard“. Das Leitungsteam unseres Fachamtes hat in einem Konzeptionstag selbstkritisch „in den Spiegel“ gesehen und sich eingestanden, dass das bisherige Besprechungswesen wenig erquicklich ist. Wir haben reflektiert, dass es Unsicherheiten dazu gibt, welche Inhalte in der Besprechung wirklich relevant sind und sind zu dem Punkt gekommen, dass die bisherige Kommunikation die Kooperation nicht sonderlich befördert. Diese ehrliche Sicht auf die Situation ist aus meiner Sicht schon ein ordentlicher Meilenstein, da das allgemeine „Sitzungstheater“ doch noch sehr verbreitet ist. Die Vorstellung, dass lineare Kommunikation die Organisationsgeschicke primär steuert, ist leider aus meiner Wahrnehmung noch sehr dominant. In der besagten Leitungsbesprechung treffen sich Bereichsleitungen und Stabsstellen alle zwei Wochen. Ein tägliches Miteinander gibt es nicht. Der Ansatz des Teambordes ist zunächst einmal ein Chancenraum dafür, ein bisheriges Besprechungsmuster zu durchbrechen und anhand der ausgewählten Rubriken die Kommunikation neu zu justieren. Es geht darum, sich eigenverantwortlich mit Themen einzubringen und die Kooperation zwischen den Bereichen anzuregen. Wir pinnen z.B. Themenanfragen an das Board und benennen mit wem wir uns zu einem Thema beraten oder austauschen wollen. Allein dieser Aspekt ist schon sehr spannend, das wir dazu in Austausch kommen, wer mit wem etwas zu besprechen hat. Es gibt dann konkrete Verabredungen und Vereinbarungen bis wann ein Thema in Umsetzung geht. Final geht es auch darum, die funktionale Aufgabenteilung etwas aufzuweichen und mehr Kooperation untereinander zu fördern. Das Zeitfenster für die Linienkommunikation entwickelt sich auch recht spannend, da die 60 Minuten bisher nie vollständig gebraucht wurden. Auch unsere Amtsleitung fühlt sich eingeladen, stärker darauf zu achten, welche Informationen wirklich wichtig sind. Da unsere Chefin aus vielen übergeordneten Gremien berichtet und wichtige Ergebnisse über die Dienstbesprechung in die Organisation fliessen sollen, ist das Zeitfenster für den Aspekt der Linienkommunikation, zumindest aktuell, noch relevant. Was wir in dem Artikel ausgespart haben, ist die Tatsache, dass wir das Teamboard zusammen mit einem Board für die Jahresplanung (Ziele, Themen, die wir bewegen wollen etc.) visualisieren und in der Besprechung kombinieren. Der Ansatz ist daher unser Ziel- und Aufgabenmanagement mit den Aspekten „Team“ und „Kooperation“ zusammen zubringen und Transparenz zu ermöglichen. Den Hinweis auf die „Retrospektive (Prozessverbesserung)“ werde ich nochmal aus dem Kommentar von Thomas Michl mitnehmen und schauen, ob wir das ausreichend bedacht haben. Insofern nochmal danke für den Hinweis. Für weiteren Austausch gerne auch per Mail an hochthurn.jan@gmail.com oder über FB (Janhaushh) Viele Grüße aus Hamburg!