Kommt Qualität von Qual?

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Qualität ist ein heißes Thema in vielen Unternehmen. Die zentrale Frage lautet: Wie kann in einer Welt, in der immer schnellere Reaktion und Innovation verlangt wird, noch qualitativ hochwertige Arbeit geleistet werden? Gerade erfahrene Mitarbeiter, die seit vielen Jahren im Beruf stehen, empfinden einen starken Mangel an Qualität bei zunehmendem Arbeitsdruck.

In der schnelllebigen VUCA-Welt (volatil, unsicher, komplex, mehrdeutig) bleibt immer weniger Zeit, um sich in ausreichender Tiefe und Ruhe mit einem Thema zu beschäftigen. Ein Change jagt den anderen, eine Neuerung löst die andere ab. Technologischer Fortschritt, politische Unsicherheit und ökologische Herausforderungen zwingen Unternehmen und öffentliche Verwaltung zu schnellerem, flexibleren Handeln. Was dabei auf der Strecke bleibt – zumindest im Gefühl vieler Beschäftigter, ist die Qualität. Längst hat das Problem große Unternehmen erreicht. Ende Januar 2020 verweigerte die Deutsche Bahn die Abnahme der neuen von Bombardier gelieferten Intercity-Züge aufgrund erheblicher Software-Probleme.

Ein hoher Durchsatz, eine hohe Schlagzahl ohne ausreichende Qualität kann nicht langfristig erfolgreich sein. Aber auch umgekehrt gilt, dass man nicht nur allein auf Qualität setzen kann, ohne die Quantität wie die Menge der Arbeit, der zu bearbeitenden Vorgänge oder Stückzahlen zu berücksichtigen.

In diesem Beitrag möchte ich Ihnen eine Hilfestellung geben, wie Sie für Ihre Arbeit und Ihren Verantwortungsbereich zu einer akzeptierten und durchdachten Qualitätsdefinition kommen.

Qualitätsmängel

Bei Qualität geht es darum, ob ein Produkt zuvor definierten Anforderungen entspricht. Dabei kann es sich um selbst gesetzte Anforderungen, durch Kunden erwartete Eigenschaften oder von offiziellen Stellen festgelegte Standards handeln.

Wo es an Qualität mangelt, sind die Probleme nicht weit. Für die betroffenen Kunden kann das ärgerlich, teuer oder sogar gefährlich werden. Das zeigen aktuelle Beispiele wie die Rückrufe von Medikamenten, deren Grundstoffe aus Kostengründen heutzutage häufig in Indien produziert werden. Gibt es eine Verunreinigung, dann führt das zu einem Rückruf bei fast allen Hersteller, wie 2019 beim Magenmittel Ranitidin. Auch die produzierenden Unternehmen sind in Gefahr. Nicht nur leidet der Ruf, auch Schadenersatzforderungen oder der Entzug von Lizenzen können unangenehme Konsequenzen sein.

Messbar macht es einfach

Einfach ist es dort, wo sich Qualität exakt messen lässt. Die Genauigkeit, mit der ein Werkstück gefertigt wird, lässt sich bestimmen. Die Temperaturen einer Kühlkette lassen sich feststellen. Wie sieht es aber in Bezug auf Software oder geistige Arbeit aus? Natürlich gibt es auch hier diverse Verfahren zur Qualitätssicherung, diese sind aber nicht so eindeutig wie bei klaren Messergebnissen. Wie misst man, ob ein Bewerbungsgespräch qualitativ gut durchgeführt wurde oder eine Akte in ausreichender Qualität bearbeitet wurde?

Start-ups und Qualität

In der Start-up-Kultur mit ihrer häufig agilen Vorgehensweise und der Produktentwicklung in Iterationen hat sich ein anderer Qualitätsbegriff entwickelt: Qualität ist, was derzeit benötigt wird. Danach erst kommen Nachhaltigkeit und andere langfristige Überlegungen. Unter der Prämisse, dass sich alles schnell wandelt, ist diese Überlegung nachvollziehbar. Allerdings haben viele Kunden den Eindruck, dass sie sich in einer immerwährenden Testphase bei den Produkten befinden. Bei Software wurde schon vor langer Zeit der Begriff der „Bananensoftware“ geprägt, die beim Kunden reift.

Das Verständnis von Qualität

Qualität erläutert die Beschaffenheit der Arbeit und damit sind mindestens zwei Aspekte gemeint:

  • Qualität der Rahmenbedingungen, d. h. unter welchen Bedingungen die Arbeit geleistet wird,
  • die Qualität des Ergebnisses der Arbeit

Beides muss in einem Gleichgewicht stehen. Legen Unternehmen zu viel Wert auf die Rahmenbedingungen, kann die Qualität oder die Arbeitsmenge leiden. Unter schlechten Rahmenbedingungen kann kaum hochwertige Qualität entstehen. Alle Bereiche des Unternehmens müssen sich daher mit dem Qualitätsbegriff auseinandersetzen. Die Abteilungen und Bereiche sollten dann ihre Qualitätsvorstellungen untereinander abstimmen, damit sie zueinander passen und ineinandergreifen. Damit entsteht auch im Gesamtunternehmen eine Definition von Qualität, die erlaubt, zu hochwertigen Ergebnissen zu kommen.

Voraussetzungen für Qualität

Ob eine Person im Unternehmen qualitativ hochwertige Arbeit  leisten kann, hängt von verschiedenen Bedingungen ab:

  • den allgemeinen Rahmenbedingungen im Unternehmen
  • den Rahmenbedingungen im Bereich, in dem diese Person arbeitet,
  • den Rahmenbedingungen am konkreten Arbeitsplatz der Person,
  • den Kompetenzen der Person, auch auf die persönlichen Kompetenzen bezogen (wie beispielsweise ein gutes Selbstmanagement)
  • der Fähigkeit und der Möglichkeit, im Arbeitsbereich gute Arbeitsbeziehungen zu den anderen Beschäftigten aufbauen zu können
  • der Möglichkeit, Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen nehmen zu können
  • der Möglichkeit, Netzwerke innerhalb und außerhalb des Unternehmens nutzen zu können, um die Qualität der eigenen Arbeit zu steigern (Weiterbildung, Messen, Konferenzen, Expertenbefragung, etc.)

Fragen zur Diskussion

Wenn Sie in Ihrem Team mehr Qualität erreichen wollen, dann steigen Sie in die Diskussion ein. Klären Sie jeder für sich und gemeinsam als Team folgende Fragen:

Verständnis von Qualität

  • Was sind für uns allgemeine Kennzeichen von Qualität?
  • Was bedeutet für uns Qualität beiunserer Arbeit?

Von der Vision zu den Ergebnissen

  • Wie passt unser Qualitätsverständnis zu unserer Vision? Gibt es Widersprüche? Beschäftigen Sie sich dabei sowohl mit der globalen Vision des Unternehmens als auch mit der Vision Ihres Arbeitsbereiches. Vielleicht gehört Schnelligkeit zur Vision des Unternehmens. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass das auch für Ihren Arbeitsbereich gilt.
  • Welche konkreten Ziele ergeben sich aus unserem Qualitätsanspruch?
  • Ist allen klar, wie sie die Qualität erreichen können? Sehen alle den Weg dazu?
  • Wie sehen unsere Ergebnisse derzeit aus? Ist die Qualität ausreichend? Wird unser Qualitätsstandard auch zukünftig ausreichen?
  • Welchen Qualitätsstandard brauchen wir in der Zukunft? Wo müssen wir die Qualität steigern? Müssen wir Qualität in einigen Bereichen reduzieren, um beispielsweise Bereichs- oder Unternehmensergebnisse erreichen zu können? Wo ist das vertretbar und wo nicht? Welche möglichen negativen Konsequenzen drohen?
  • Was passiert, wenn wir mit unserem derzeitigen Qualitätsstandard weiterarbeiten?
  • Wie gut und praktikabel sind unsere Prozesse zur Qualitätssicherung? Unterstützen Sie uns in der Qualitätserreichung?
  • Welche Hilfsmittel und Vorgehensweisen unterstützen uns bei der Qualitätssicherung?

Die Personen

  • Welche Erfahrungen aus der Vergangenheit helfen uns, um Qualität zu liefern? Welche Erfahrungen helfen uns bei notwendigen Veränderungen?
  • Unter welchen Rahmenbedingungen können wir die beste Qualität erbringen?
  • Welche Kompetenzen setzen wir ein, um die bestmögliche Qualität zu erreichen?
  • Wie muss ich jeder Einzelne/wir als Team verhalten, um die beste Qualität zu erreichen?
  • Wie ist unsere persönliche Einstellung zu Qualität? Ist sie mehr ein notwendiges Übel oder empfinden wir sie als persönliches Bedürfnis?
  • Wie leicht fällt es uns Qualität zu liefern?

Die Zusammenarbeit

  • Unterstützt unsere Teamzusammensetzung die Erreichung der Qualitätsziele?
  • Ist unser Umgang untereinander förderlich für die Qualität?
  • Haben wir ausreichend Kontakte und Zugang zu anderen Abteilungen und Einzelpersonen, die uns unterstützen können?
  • Nutzen wir externe Netzwerke, um unsere Qualität zu steigern?

Die Organisation

  • Unterstützt unser organisatorischer Aufbau die Erreichung der Qualitätsziele? Was müssten wir ggf. ändern? Welche organisatorischen Rahmenbedingungen brauchen wir tatsächlich?
  • Wie müssen wir unsere Schnittstellen gestalten, damit unter vertretbarem Aufwand beste Qualitäten entsteht?
  • Wie müssen wir unsere Prozesse gestalten?
  • Welche Instrumente (Checklisten, regelmäßige Treffen, Softwareprogramme, etc.) benötigen wir dafür?
  • Welche Ressourcen (Zeit, Personen, Konzentration, Räumlichkeiten, Geld, etc.) benötigen wir dazu? Stehen diese zur Verfügung?

 

Gehen Sie diese Fragen zunächst für sich allein durch und steigen Sie dann in die Diskussion mit den Kolleginnen und Kollegen ein. Führungskräfte sind aufgerufen, die Diskussion sowohl in ihrem eigenen Bereich als auch mit Kollegen und den höheren Führungskräften bzw. der Unternehmensleitung zu führen.

Qualität als ständige Aufgabe

Qualität ist nicht etwas, das einmal erreicht wird und dann ist die Aufgabe erledigt. Das ist glaube ich jedem klar. Vielmehr handelt es sich um einen ständigen Prozess, eine Art begleitende Daueraufgabe. Dabei lohnt es sich auch immer wieder in die Diskussion einzusteigen, welche Art von Qualität gefordert ist.

Nicht übertreiben

Ein übertriebener Qualitätsanspruch kann kontraproduktiv sein. Ich hatte einmal eine Diskussion mit vier Abteilungsleiterinnen der Deutschen Bank in einem meiner Workshops. Die Leitungen klagten darüber, dass ihnen zu wenig Zeit für strategisch wichtige Aufgaben blieb. Auf meine Frage, welchen Qualitätsanspruch sie denn persönlich hätten, kam wie aus einem Munde: „150 Prozent natürlich. Darunter geht nichts.“ Nun, dann ist klar, dass kaum Zeit für anderes bleibt. So wird Qualität tatsächlich zur Qual.

 

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